Die Geschichte einer Leidenschaft fängt mit einem ›a‹ an

Über Eckehart SchumacherGebler

Die vorliegende Abhandlung von Jan Weiler erschien erstmals 1999 in der Reihe »Portfolio« von Römerturm Feinstpapier, Frechen.
Wir danken Herrn Weiler für die Abdruckgenehmigung. Gegenüber der ursprünglichen Fassung wurde der Text etwas gekürzt und überarbeitet.

Das kleine ›a‹ ist für Eckehart SchumacherGebler ein besonderer Buch­stabe. Auch wenn er heute sagt, es täte nichts zur Sache, so war es doch ein Folio-a, das sein Leben verändert hat: ein kleiner Buchstabe, den er eines Tages vor knapp vierzig Jahren zusammen mit anderen in wenigen Zeilen auf dem Layout hin- und herschob – bis plötzlich nur noch dieses ›a‹ als ein abstraktes Zeichen vor seinen Augen stand. Bis zu diesem Erlebnis war Schrift für Schumacher­Gebler nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Buchstaben brauchte man zum Drucken – und dann zum Lesen. Punkt.

Typographie war ihm, der heute zu den bedeutendsten Fachleuten auf diesem Gebiet zählt, für fast die Hälfte seines Lebens ein unbe­kanntes Terrain, obwohl er der Schrift so nah war.

Die Lebensgeschichte von Eckehart Schumacher­Gebler ist die eines Mannes, der viel Glück gehabt hat. Nicht daß er besonders erfolgreich oder außergewöhnlich berühmt geworden wäre. Aber er hat gelernt, seinen Beruf zu lieben, einen Beruf, den er sich nicht selbst ausgesucht hatte. Anfang der fünfziger Jahre wurde für den Sohn aus einer Drucker­­familie die Entscheidung für den späteren Lebensweg getrof­fen: »›Der Junge übernimmt die Firma‹, hieß es.«

Der junge Eckehart war nicht übermäßig begeistert. Er hatte eigent­lich Architekt werden wollen, Räume gestalten, in denen Familien leben oder die anderen Zwecken dienen. Der Geruch von Drucker­schwärze war ihm ebenso fremd wie die Vorstellung, sein Leben an ratternden Maschinen zu ver­bringen. »Es gab darüber keine Diskus­sionen«, sagt Schumacher­Gebler mit einem Tonfall in der Stimme, bei dem es ebenfalls keine Diskussionen gibt. »Es gab nur die Frage: Drucker oder Setzer?« Also machte der Junge eine Lehre, lernte das Handwerk des Druckers – weil sich angeblich in dieser Sparte schnel­ler Geld verdienen ließ – und kannte sich bald gut aus.

Nach der Lehre folgte ein Studium an der Münchner Akade­mie für das graphische Gewerbe. Schließlich übernahm er Anfang der sechziger Jahre den Münchner Familienbetrieb und – ein Glück für ihn – fand Gefallen an der Aufgabe. Was wäre sonst gewesen? Er hätte ja auch alles verkaufen kön­nen, den Kram versilbern und abhauen, wie man es aus ver­krachten mittelständischen Familien schon gehört hat.

Eckehart SchumacherGebler hielt durch. Wer ihn heute besucht, trifft auf einen stilsicheren, schlanken Mann, der in der Regel keine Druckerschwärze mehr an den Fingern hat – was nicht heißt, daß er sich scheuen würde, hin und wieder selbst Hand anzulegen, wenn es die Situation erfordert. Sein Büro ist mit Möbeln eingerichtet, die ganz kurz davor stehen, wieder sehr modern zu sein. Sie sehen kaum gebraucht aus, wohl weil ihr Besitzer um ihren Wert weiß. Stil ist ein wichtiges Thema für ihn, seinen doppelten Nachnamen sieht er am liebsten zusammengeschrieben mit großem G.

SchumacherGebler ist in dem Alter, in dem man normalerweise lang­sam übers Aufhören nachdenkt. Danach gefragt, schüttelt er nur leise den Kopf und sagt mit seiner dialektfreien Stimme: »Nein. Warum? Macht doch Spaß.«

Der ist ihm geblieben, trotz des schwierigen Starts. Was ihm damals, Anfang der sechziger Jahre, keine Freude bereitete, war die Tatsache, daß seine Firma kein richtiges Unter­nehmenskonzept besaß; man druckte, was gerade verlangt wurde: Werbebroschüren, Bücher, Visitenkarten, Geburts­anzeigen – eben alles.

Da tauchte unversehens ein Freund und Studienkollege auf. Gunther Schneider arbeitete bei einer Schriftgießerei, also einem Unter­nehmen, das Blei­lettern herstellt und verkauft. Das Geschäft lief damals nicht allzu gut. Der aus den Kriegsjahren resultierende Nachholbedarf war längst ausgeglichen, und die Drucker hatten nie gerne in Schriften inve­stiert. Das Geld steckte man lieber in die jedes Jahr schneller werden­den Druckmaschinen.

Deshalb suchten die Gießereien nach einem neuen Weg, ihre Produkte an den Mann zu bringen. Dieser bestand darin, nicht den Druckereien, sondern den Werbeagenturen die jüngsten Kreationen zu offerieren. Gelang es, einen Art Director von der Ausdruckskraft einer neuen Schrift zu überzeugen, und setzte er diese für einen von ihm betreuten Etat ein, dann war die ausführende Druckerei gezwungen – wollte sie nicht ihren Kunden verlieren –, sich die betref­fende Schrift zuzulegen: eine in der Vorgehensweise ebenso einfache wie raffinierte Strategie. Wie auch immer die Entscheidung des Art Directors ausfiel, blieb sie für die Agentur ohne finanzielle Verpflichtungen, die Rechnung hatte in jedem Fall der Drucker zu bezahlen.

Gunther Schneiders Aufgabe war es nun, die Agenturen im süd­deut­schen Raum zu betreuen. Doch die klug ausgedachte Strategie funktio­nierte nur, wenn eine leistungsfähige Layoutsetzerei vor Ort existier­te, die all die neuen Schriften in ihrem Angebot führte. Spezialbetriebe dieser Art sind erst nach dem Krieg entstanden. Sie setzten die meist kleinen bis mittleren Texte aus ihrem reichen Schriftprogramm, über­wiegend für die werbetreibende Wirtschaft. Layoutsetzereien gab es vor allem in den Hoch­burgen der Agenturen, in Frankfurt am Main, Düssel­dorf und Hamburg. In München fehlte ein solcher Betrieb, zu­mindest in den Augen der Bauerschen Gießerei, um deren Schriften es hier ja ging.

Schneider suchte also Schuma­cher­Gebler dazu zu bewegen, in Er­gän­­zung zur bestehenden Druckerei eine Layoutsetzerei in München zu gründen und sie mit den Schriften seiner Gießerei auszustatten. Diese Anregung hatte für SchumacherGebler etwas Verlockendes. Sie bot die Chance, den Kunden neue Dienstleistungen anzu­bieten. Vor allem das Defizit an modernen Satzschriften ließ sich damit beheben. Hatte ihm doch erst vor kurzem ein Verleger ins Gesicht gesagt, daß er den Auftrag nicht bekäme, weil er keine schönen Schriften habe. Schöne Schriften? »Da ist mir zum ersten Mal bewußt geworden, daß Schrift überhaupt ein Kriterium für die Vergabe eines Auftrags sein kann. Daß jemand sich eine bestimmte Schrift wünscht, war mir bis dahin eigentlich völlig fremd.«

SchumacherGebler hatte nun ein Satzstudio. Für die Kunden mußte als nächstes ein Prospekt mit den verfüg­baren Schriften gedruckt werden. Und da ist es dann pas­siert. »Die ganze Drucksache war fertig gestaltet, nur die letzte Seite paßte noch nicht. Da stimmte es hinten und vorne nicht. Ich schnippelte die Zeilen auseinander und schob sie hin und schob sie her. Und bei diesem Rum­schieben blieb mein Auge an einem kleinen a hängen. Ich sah, losgelöst von allen anderen Zeichen, nur noch diese Minuskel a, deren eigenwillige Zeichnung, die gegenläufige Ausformung des Bogens.«

Von jenem Tag in den frühen sechziger Jahren an vergleicht Schuma­cher­Gebler a’s. Er legt die Lettern nebenein­ander, unter­scheidet nach offener und geschlossener Form, beurteilt ihre Binnen­räume. Er erkundet die ›Helvetica‹ und die ›Janson‹, prägt sich ›Futura‹ und ›Frutiger‹ ins Gedächtnis, sitzt nächtelang über ›Times‹, ›Bell‹ und all den anderen, studiert die Entwürfe von Hermann Zapf und Claude Garamont. Er befaßt sich mit den Stempel­schneidern der Renais­sance und den niederländischen Schriftgießern. Aus der Neigung heraus wird er zum kennt­nisreichen Fachmann, mehr noch, zum Experten. »Ich habe mich in die Schriften der Welt vertieft, und sie haben mich geradezu aufgesogen.« Das a bleibt sein bester Freund in der Buch­staben­familie. »Man kann eine Schrift auch gut an ihren g’s oder s’s erkennen, aber die a’s hatten es mir immer angetan, sie sind eben ein besonders signifikantes Zeichen.«

Sein Satzstudio in München verkaufte nun Reprosatz in Form von Barytandrucken an Graphiker und Werbe­agenturen. Doch Bleilettern nutzen sich schnell ab, auch wenn man sie, wie hier, nicht zum Auf­lagendruck verwen­det. Werden sie nämlich in den Setzkasten zurück­gelegt und fallen dabei mit ihrem Bild auf einen anderen Buchstaben, dann kann man mindestens einen davon wegschmeißen. Also mußte ständig Schrift in der Gießerei nachgeordert werden, auf die Dauer ein teurer Spaß. Um Abhilfe zu schaf­fen, entschied sich Schumacher­­Gebler dafür, seine Schriften nun selbst zu gießen, und kaufte eine Monotype-Setzmaschine. Das war die vielleicht wichtigste Entschei­dung seines Lebens. Denn nachher war nichts mehr wie vorher.

Wenn Eckehart SchumacherGebler über die Mono­type spricht, ist es, als öffnete sich ein Fenster zur schönsten Blumenwiese der Welt: »Die Monotype hat in der Blei- und Buchdruck-Ära die maschinelle Satz­herstellung zu ihrem absoluten Höhepunkt geführt. Man weiß nicht, was mehr Bewunderung verdient: die geniale Erfindung dieses intelli­genten und universellen Systems; die nicht zu übertreffende Inge­nieurleistung, verbunden mit einer kaum vorstellbaren Präzision, Grundlage der beinahe sprichwörtlichen Sicher­heit und Zuver­lässigkeit; oder das in künstlerischer Hinsicht einmalige Schriften­programm, das in bezug auf Vielfalt und Qualität weltweit seines­gleichen sucht.«

Um die Faszination von dem Monotype-Setzsystem richtig verstehen zu können, muß man wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon haben, wie dieses atemberaubende Werk der Technik funktioniert. Natürlich kann Eckehart Schu­macherGebler das erklären. Dabei gerät er so ins Schwärmen, daß ihm dabei der Kaffee kalt wird. Für alle Laien an dieser Stelle ein kleiner Exkurs:

Die Erfindung der Setzmaschine war eine der schwierigsten Entwick­lungen in der Inge­nieurgeschichte. Das hängt damit zusammen, daß man zunächst versucht hatte, den manuel­len Vorgang des Setzens, also das Herausnehmen der Buch­staben aus dem Setzkasten unter Beibehaltung vorgefertig­ter Lettern, von einer Maschine ausführen zu lassen. Zwar gab es einige respektable Ansätze, doch schon allein wegen der Bindung großer Mengen von Gießereischriften im unver­meidlichen Stehsatz stellte sich erst mit der Erfindung Ottmar Mergen­thalers und dem von ihm angewen­deten Prinzip von Matrizen ein Durchbruch in der maschi­nellen Satzherstellung ein. Allerdings war die von Mergenthaler entwickelte Linotype-Setz­maschine nicht frei von Einschränkungen: Die Zeilen werden in einem Stück gegos­sen, Korrigieren mit Einzelbuchstaben von Hand ist damit nicht möglich; auch verbietet das Prinzip überhängende Buchstaben­formen oder unterschied­liche Weiten von Grund- und Auszeich­nungsschrift: alles wichtige Kriterien für die Ästhetik des Satzbildes. Daher hat der Amerikaner Tolbert Lanston mit seiner Monotype einen anderen Weg eingeschlagen.

Wie funktioniert nun dieses faszinierende Wunderwerk? Zunächst: Das Setzen, also das Eingeben der Texte, und das Gießen geschieht mit getrennten Maschinen. Die Eingabe­station, auch Setzmaschine, Per­forator oder schlicht Taster genannt, ist eine Art Rechenmaschine mit einer riesigen Tastatur. Sie enthält für jedes Zeichen, egal ob Großbuch­stabe, Kleinbuchstabe, Kapitälchen, Ziffer oder Satzzeichen, jeweils eine eigene Taste – und das sowohl für die Grund- wie für die Auszeichnungsschrift. Jedes Zeichen hat in der Weite einen definier­ten Wert zwischen fünf und achtzehn Einheiten. Nach der Einstellung der Satzbreite – auch dafür werden diese Einheiten verwendet – beginnt der Setzer den Text einzutasten, was einen höllischen Krach macht. Dabei wird für jedes getastete Zeichen der zugehörige Wert von der Gesamteinheitenzahl abgezogen. Wenn die Zeile zu Ende geht, man, wie es heißt, in den Ausschlußbereich kommt, gibt die Maschine, die mitgerechnet hat, dem Setzer ein ent­sprechendes Signal. Dabei zeigt sie ihm an, wie viele Ein­heiten von der vorgegebenen Satzbreite bereits verbraucht bzw. noch übrig sind. Der Setzer muß nun ent­scheiden, ob noch Platz ist für ein kleines Wort, eine Silbe oder nicht. Der dann noch verbleibende Rest wird auf die zunächst einge­gebenen Minimalwortzwischenräume verteilt.

All diese Informationen werden in einen langen 31-Kanal-Lochstreifen eingestanzt. Als letztes also die Information, die in der betreffenden Zeile den Wortzwischenraum fest­legt. Ist eine Satzarbeit beendet, wird die Papierrolle aus dem Gerät genommen und in die Monotype-Satzgieß­maschine gespannt. Nun geht’s los. Wie von Zauberhand steuert der Lochstreifen das komplexe System. Die eksta­tisch wirkenden, ruckartigen Bewegungen des komplizierten Scherenmechanismus ziehen jeden Betrachter sofort in ihren Bann, verwirren ihn zugleich. Zu unüberschaubar, zu abrupt ist das rasche Hin und Her der glän­zenden Metall­stangen, als daß das Auge zu folgen vermag. Begleitet wird das grotesk anmutende Geschiebe von einem ohrenbetäu­benden Stakkato, das jede Verständigung unmöglich macht. Um welch gran­diose Erfindung es sich tatsächlich handelt, läßt sich aber erst ermes­sen, wenn man sich die aufeinander abgestimmten Prozeßschritte und deren unvorstellbar rasche Abfolge vergegenwärtigt. Um einen einzel­nen Buch­staben zu gießen, muß zunächst der individuell verlegbare Matrizenrahmen positioniert werden. Danach wird er auf die Gieß­form abgesenkt. Daran schließt sich die Feinjustage der Matrize durch den Zentralstift an. Nun erfolgt der eigentliche Gießvorgang, wobei durch Lösen einer zuvor gespannten Feder der Pumpenkolben unter hohem Druck flüssiges Metall in die Gießform und die Matrize preßt. Danach hebt sich wieder der Matrizenrahmen, und die gerade gegossene Letter wird bei gleichzeitigem automati­schen Abbrechen des Angusses ausgegeben. Das alles pas­siert mit der unglaublichen Geschwindigkeit von, je nach Schriftgrad, zwei bis drei Typen pro Sekunde.

Und weil die Lochstreifen rückwärts in die Gießmaschine ein­gelesen werden, die letzte Information des Tasters, also die Festlegung des Wort­zwischenraums, die erste beim Gie­ßen ist, ergeben die wie kleine Infanteristen eine nach der anderen in Reih und Glied aus der Ma­schine antretenden Lettern auch perfekt gleich lange Zeilen – Zeilen, wie gesagt, aus lauter Einzelzeichen, gegossen von den 272 Einzel­matrizen, die in einem Matrizenrahmen Platz finden, wobei sich auf jeder Matrize immer nur ein Buchstabe befindet. Das macht die Grundschrift und deren Auszeichnungs­schnitte voneinander unab­hängig, gewährt jedem Zeichen seine eigene Individualität. Dank dieser Finesse können schwungvolle Figuren wie beispielsweise das alles über­ragende f überhängend gegossen werden.

So entsteht ein ungemein schönes und ästhetisches Satzbild. Eben diese Schönheit ist es, die Schu­macher­Gebler so sehr begeistert. Darüber hinaus weiß er natürlich den Vor­teil zu schätzen, von Einzelmatrizen mal eben mühelos zwei­hundert A’s oder fünf­hundert G’s zu gießen und mit diesen und anderen Lettern die Setz­kästen der Handsetzerei aufzu­füllen. Mit der Monotype hat er eine eigene Schriftgießerei im Hause.

Als Eckehart SchumacherGebler – oder ESG, wie ihn viele nennen und was ja wesentlich kürzer ist – seine erste Monotype-Anlage kaufte, lief der Laden in München recht gut. Sorgen bereiteten nur die immer enger werden­den Kundentermine und der permanente Facharbeiter­­mangel, wodurch man nie Zeit zum »Ablegen«, zum Zurück­legen der Lettern in ihre angestammten Kästen, fand. Oft waren die Fächer der gerade dringend benötigten Schrift leer, fehlten die unentbehrlichen Stege und Regletten als nichtdruckendes »Blind­material«. Die Gieß­maschine – da man auch große Schriftgrade bis 72 Punkt gießen wollte, war mit der speziell für diesen Zweck gedachten Monotype-Supra begonnen worden – beseitigte schlagartig die Knapp­heit von Schrift- und Blindmaterial. Mit den stets guß­frischen Typen ließ sich quasi nebenbei auch die Qualität der Barytandrucke verbessern. Die Kunden waren zufrie­den, der zunächst kleine Matrizenbestand der Monotype mußte aufgestockt werden. Zwei Taster und eine Satzgieß­maschine wurden noch von einer Kollegenfirma übernom­men, da die Aufträge an Umfang und Zahl zunahmen und sich ohne maschinelle Fertigung nicht mehr termin- und kosten­gerecht ausführen ließen. So weit, so gut.

Doch die Zeiten änderten sich, genauer gesagt, die Technik. Der Foto­satz hielt auf leisen Sohlen Einzug in die Betriebe – wie seinem schwere­losen Lichtstrahl angemessen, mit rasender Geschwindig­keit. Dieser Entwicklung trug man in der Münchner Goethestraße früh­zeitig Rechnung, den Fototitelsetzgeräten folgten bald Diatype-Geräte, wenig später eine Diatronic, es war die einhundertste Maschine übrigens. Und die Kunden nahmen das neue Verfahren gerne auf – weniger aus Qualitätsgründen, vielmehr, weil beim Einkleben in das Layout die Fotoabzüge im Gegensatz zu den Barytandrucken nicht mehr die Gefahr des Ver­wischens in sich bargen. So sehr man sich auch über die posi­tive Aufnahme des neuen Verfahrens gefreut hatte, bereitete die Verlagerung der Aufträge doch erhebliches Kopfzer­brechen, wie die Mono­type-Abteilung in Zukunft ausgelastet werden könne.

Man mochte die Sache drehen und wenden, wie man wollte, im Grunde gab es nur zwei Wege: die überhaupt noch nicht amortisierte Anlage à fonds perdu abzuschreiben oder das schon ganz ansehnliche Schriften­angebot konsequent aus­zubauen. Damit würde der Betrieb in die Lage versetzt, auch ausgefallene Schriftwünsche zu erfüllen, bei­spielsweise nach Schriften, die es im Fotosatz noch nicht gab, um so­mit zusätz­liche Aufträge aus einem überregionalen Kundenkreis her­einzuholen. Wer ESG kennt, braucht nicht lange zu ra­ten, für welchen Weg, sicherlich nicht frei von Emotionen, er sich entschieden hat.

SchumacherGebler machte sich also daran, alle Monotype-Matrizen dieser Welt zusammenzutragen. Gebrauchte Matrizensätze, wohlge­merkt, alles andere hätte wirtschaftlich damals keinen Sinn ergeben. Wie ein guter Jäger weiß, wo das Wild steht, so kannte ESG die mei­sten der in Frage kommenden Druckereien, bei denen man seltenere Schrif­ten, und nur darum ging es, aufstöbern konnte. Der Zeitpunkt war günstig. Die Monotype war eigentlich nur in Großbetrieben anzutref­fen. Und gerade diese waren es, die als erste zum Fotosatz wechselten. Die Verhandlungen verliefen in der Regel unkompliziert. War die Umstellung auf die neue Technik bereits abgeschlossen oder stand sie unmittelbar bevor, wurden die Matrizen gerne dem Mann aus München überlassen, meist zu einem Freundschaftspreis. Niemand sonst schien ja dafür Verwendung zu haben.

Insgesamt mag es mehr als ein gutes Dutzend Großbetriebe gewesen sein, deren Matrizen nun in die Goethestraße wan­derten: aus Deutschland, England, der Schweiz und den Niederlanden, darunter klangvolle Namen wie William Clowes, Olden­bourg, Passavia, Stulle, Druckhaus Tempel­hof etc. Nicht weniger illuster war die Reihe der von diesen »Beutezügen« mitgebrachten Schriften. Obwohl alle von internatio­nal renommierten Schriftkünstlern entworfen, waren manche in Deutschland noch nie oder nur ganz selten zum Einsatz gekommen. Erwähnt seien, um nur einige zu nennen, die Schnitte der ›Barbou‹, ›Bell‹, ›Bulmer‹, ›Caslon‹, ›Centaur‹, ›Fontana‹, ›Imprint‹, ›Lutetia‹, ›Perpetua‹, ›Poliphilus‹, ›Spectrum‹, ›Van Dijck‹ sowie der ›Antigone‹ und ›New Hellenic Greek‹; dazu noch heute rar gewordene Fraktur­schriften. Sicherlich, Reichtümer ließen sich damit schwerlich erringen, aber dieser einmalige Fundus machte es immerhin möglich, neue Kunden – Pressendrucker und Verlage limitierter Auflagen – zu gewinnen und die Abtei­lung weiterzuführen. In Erinnerung ist ESG vor allem der Auftrag, ein enzyklopädisches Werk zu aktualisieren, knapp fünf Millionen Anschläge waren das.

Einen Haken allerdings hatte die Übernahme der Kollegen-Matrizen: In der Regel mußten auch die Monotype-Maschinen und die Gieß­formen mitgenommen werden. Kaum einer der bisherigen Besitzer hätte es übers Herz gebracht, die noch tadellos funktionierenden Anlagen dem Schrotthändler auszuliefern. »Das waren alles ein­wand­frei arbeitende Systeme, die wunderbar liefen«, sagt Eckehart Schu­macherGebler – wie zu seiner Verteidigung. So kam es, daß er wider seinen Willen zum weltweiten Monotype-Magnaten avancierte. »Zeitweilig besaß ich etwa fünfund­zwanzig Maschinen, weit mehr, als jemals wieder zum Einsatz kommen würden.«

Eine böse Überraschung war Anfang der achtziger Jahre die Ankündi­gung der Monotype-Niederlassung in Frankfurt am Main, den Verleih der Großkegel-Matrizen einzustellen. Die kleinen Matrizen für die Herstel­lung fortlaufender Texte wurden stets käuflich erworben, die großen Grade für die Überschriften, die man in zwei bis drei Jahren meist nur einmal in Anspruch nahm, jedoch gegen eine geringe Gebühr ausge­liehen – eine sehr sinnvolle Regelung, denn anders wären die Großkegel-Matrizen für niemand erschwinglich gewesen. Sollte in Zukunft nun der Zugriff auf diese Grade für Überschriften nicht mehr gewähr­leistet sein, wären auch die ganzen umfangreichen Bestände an ausge­suchten Textschriften von SG fast wertlos. Das waren aber, läßt man die orientalischen, die Sonder- und Spezial­schriften außer acht, damals etwa achtzig Prozent aller Monotype-Buch­schriften. Proteste und Bitten um Fort­führung brachten keinen Erfolg. Die Nachfrage nach den Leih­matrizen sei nun einmal so stark zurückgegangen, daß man sich habe entschließen müssen, die Ausleihe aufzu­geben und die Matrizensätze zu verkaufen.

Um das bisher Erreichte nicht zu gefährden, entschied sich ESG dafür, das Monotype-Lager mehr oder weniger voll­ständig zu übernehmen, fehlende Sätze von den Filialen in England und der Schweiz zu erwer­ben, die ebenfalls aufgelöst wurden. Heute erübrigt sich die Frage nach dem Sinn der damals getroffenen Entscheidung. Monotype-Großkegelmatrizen können nicht mehr angefertigt werden, und eine Zusammenstellung in dieser umfangreichen Form existiert kein zweites Mal auf der Welt. Später hat man Eckehart SchumacherGebler für diese Entschei­dung belohnt, wenn auch eher ideell. »Weitsicht und Kom­pe­tenz«, wie es in der Laudatio hieß, waren die Gründe für den mit 10.000 DM dotierten Preis, den die Vereinigung von Antiquaren 1997 an SchumacherGebler in Ludwigs­burg verliehen hat.

Doch es sollte noch weitergehen. Hatte das Münchner Typostudio sich mit der Einführung des Monotype-Systems von den Schriftgießereien auch weitgehend unabhängig gemacht – und damit gleichfalls zu den Einbußen dieser Branche beigetragen –, so blieben die freundschaftli­chen Beziehungen weiterhin intakt. Auf diese Weise erlebte Schu­macher­Gebler den geschäftlichen Niedergang der Gießereien aus unmittelbarer Nähe mit. Es war ein jahr­hundertealtes Handwerk, das da zu seinem Ende kam. Und natürlich blieb die Frage nach dem weiteren Schicksal all der Werkzeuge, Stahlstempel, Matrizen und Gießmaschinen nicht unausgesprochen. Das Achselzucken als Antwort ließ in der Regel kaum Unklarheiten aufkommen.

Der Gedanke, daß all diese Zeugnisse einer auf höchste Voll­kommen­heit ausgerichteten Handwerkskunst zerschlagen, eingeschmolzen, vernichtet werden sollten, war einfach unerträglich. Wer auch nur eine gewisse Ahnung davon hat, was alles notwendig war – Geschick und Fertigkeit, Mühen, Zeitaufwand, Versuche, Probeschnitte, Korrek­turen, hin und wieder auch völliger Neubeginn, und immer wieder Geduld –, bis eine Schrift vor dem kritischen Auge eines Gießers Bestand hatte und in den Verkauf gehen konnte, der begreift, daß man diesem Irrsinn, entstanden aus der Wut und der Enttäuschung über das Unvermeidliche, Unver­ständliche, nicht tatenlos zusehen konnte. Bestand nicht wenigstens die Möglichkeit, diese Schriftgußmatrizen erst einmal zwischenzulagern, bis wieder Vernunft eingekehrt, die Wegwerfmentalität überwunden war?

Akut bedroht waren zunächst Anfang der siebziger Jahre die Matrizen der Bauerschen Gießerei (gegründet 1837). Das Gußprogramm war gewaltig, alle Matrizen würde Ecke­hart SchumacherGebler in seinem Betriebskeller in der Goethestraße nicht unterbringen können, aber vielleicht die Hälfte oder etwa ein Drittel. Also hieß es aussuchen. Die vier Tage, die er von sieben Uhr früh bis abends um acht im Keller der Bauerschen Gießerei verbrachte, wird ESG Zeit seines Lebens nicht vergessen. Nur mit einer Glühbirne spärlich beleuchtet war der Raum, in dem sich die flachen Kästen mit den Matrizen, meist zehn bis zwölf achtlos übereinandergesetzt, bis zur Decke stapelten. Insgesamt zehn Tonnen, so hieß es, umfasse das Lager. Jeder dieser Kästen wurde nun heraus­genommen – die oberen erreichte man nur mit einem wackeligen Stuhl – und zu der Lampe getragen. Anders war es nicht möglich zu erkennen, welche Matrizen sie enthielten. Die Zuordnung der Schriften war schwierig. Es gab keinen Katalog, eine Beschriftung fehlte vielfach, und außer dem dicken Staub verlieh auch der tech­nisch begründete Konus dem Bild auf der Matrize ein ungewohntes Aussehen, ließ die Schrift breiter und kräftiger als im Druck erscheinen

Nicht ganz drei Tonnen hatte SchumacherGebler aus­gesucht, die dann nach München gingen. Darunter befanden sich Schriften, die der Gründer noch selbst geschnitten hatte – außerdem Matrizen so bekannter Entwerfer wie Heinrich Wieynck, F. W. Kleukens und F. H. Ernst Schneidler sowie die Originale (Schablonen) der ›Futura‹ von Paul Renner.

Den größten Schatz jedoch barg ESG zehn Jahre später. In Jan Tschicholds »Meisterbuch der Schrift« hatte der Autor von der ›Holländischen Mediäval‹ berichtet, einer Barockschrift, die zu den bedeutendsten Re­likten der Stempelschneidekunst in Deutschland gehöre. Die Original-Matrizen seien im Besitz der Bundesdruckerei. Über den Fach­bereich Satzherstellung lernte Schumacher­Gebler den Setzereileiter der Bundesdruckerei kennen – eine ideale Gelegenheit, nach dem Ver­bleib der Matrizen zu fragen. Zur Überraschung erfuhr er, daß die Gießerei des Unter­nehmens schon stillgelegt sei und alle Maschinen und Geräte bald »ausgemustert« werden sollten. Die vorgefundene Viel­falt war einfach unglaublich: Original-Matrizen von Fraktur-Schriften, deren Anfertigung bis ins 16. Jahr­hundert zurückreicht, Stahlstempel und Matrizen von Antiqua-Schriften aus der ganzen Welt, von der Renais­sance bis zum Klassizismus. Und das alles in den unter­schiedlichsten Größen: winzige Drei-Punkt-Schnitte fanden sich darunter wie auch kolossale Grade von 192 Punkt. Dazu alle nur erdenklichen orientalischen und anderen exoti­schen Zeichen­sätze: von Arabisch, Birma­nisch, Chinesisch, Demotisch, Hierogly­phen, Keilschriften, Runen bis Walachisch und Zend; es wollte kein Ende nehmen. Eine Besonderheit waren die Stahlstempel. In den größeren Graden wirkten sie wie Skulpturen: schwarz der eigentliche Körper, während die blanken Partien die verwendeten Werkzeuge erahnen ließen.

Metall ist schwer. Tonne um Tonne schaffte Eckehart SchumacherGebler nach München. Zuletzt waren dort die Matrizen von mehr als zehn ver­schie­denen Gießereien versammelt. Neben den schon erwähnten seien als wichtig­ste noch Breitkopf & Härtel, Flinsch, Gillé, Krebs, Ludwig & Mayer, Molé, Typoart sowie Zanker genannt. Alle diese verschiedenen Schriften zu identifizieren bereitete SchumacherGebler schon längst keine Schwierig­keiten mehr. Es gab Zeiten, da hätte er ohne Mühe bei »Wetten, daß …« auftreten können, als der Mann, der alle Schrift­schnitte kennt. SchumacherGebler kannte aber auch seine Grenzen. So verlockend das Angebot auch war, die vollständigen Stahlstempel und Schablonen der Monotype in England zu übernehmen – ein riesiger Fundus –, allein eine halbe Million Mark nur für die Fracht des schweren Stoffs, das war einfach zuviel.

Die Wiedervereinigung sollte abermals eine gravierende Wende in seinem Leben bringen. Jetzt ging es um die Offizin Haag-Drugulin in Leipzig. Das ist nicht irgendeine Druckerei in irgendeiner Stadt. Leipzig war bis vor dem Zweiten Weltkrieg das Zentrum der Schwar­zen Kunst in Deutschland. Hier war eine Vielzahl renommierter Verlage angesiedelt, arbeiteten bekannte Typographen und Schrift­gießer, hatten bedeutende Druckhäuser ihren Sitz wie eben auch Haag-Drugulin.

Der Name der 1829 gegründeten Offizin war schon immer ein Syn­onym für Letternvielfalt. Auf dem Gebiet orienta­lischer Sprachen machte sie gegen Ende des 19. Jahrhundert selbst den reich ausge­statteten Staatsdruckereien in Wien und Paris den Rang streitig. Und noch heute sind die Koran-Ausgabe von 1890/91 oder die »Marksteine aus der Welt­literatur« von 1902 glänzende Beispiele für die einmalige Druckkunst des Hauses. Berühmte Schriften wie die Janson oder die Luthersche Fraktur wurden bei Drugulin in Original-Matrizen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts neu ent­deckt. Ihrem unermeßlichen Schriften­bestand verdankte die Offizin schon vor dem Ersten Weltkrieg sehr enge Bezie­hungen zu den bedeutend­sten Verlagshäusern der Zeit: Samuel Fischer, Ernst Rowohlt, Kurt Wolff, Eugen Diede­richs, Schuster & Loeffler, Paul Cassirer, Rütten & Loening und andere. Hier wurden so legendäre Zeitschriften gesetzt und gedruckt wie »Die Insel« oder »Pan«, entstan­den die »Drugulin-Drucke«, aber auch viele Erstausgaben, die inzwischen Literatur­geschichte gemacht haben. Erinnert sei an Namen wie Georg Trakl, Franz Kafka, Max Brod, Robert Walser, aber auch Heinrich Mann und Karl Kraus.

Natürlich blieb auch Haag-Drugulin nach dem Zweiten Weltkrieg das Schicksal der Enteignung nicht erspart. Im Juni 1954 zu Ehren des sozialistischen Schriftstellers in Offizin Andersen Nexö umbenannt, folgte durch verordnete Zusammenschlüsse die Ausweitung zum Großbetrieb. Diesen galt es nach der Wende zu reprivatisieren. Dabei erwies sich der Betriebs­teil in der Nonnenstraße, in dem mittlerweile die ganze Bleisatz- und Buchdrucktechnik konzentriert worden war, als problematisch. Wer wollte sich damit – im wahrsten Sinne des Wortes – schon belasten?

Der erste Besuch in der Offizin war für Eckehart SchumacherGebler eine Begegnung mit etwas Ver­trautem. So wie er sich in München für den Erhalt der traditionellen Technik als Kulturgut eingesetzt hat, waren hier gleichgesinnte Fachleute ähnlich vorgegangen. Und das, was er vorfand, ergänzte sich zum Teil auf ideale Weise. »Ich sah die groß­formatigen Druckmaschinen, die riesige Setzerei mit den vielen Handsatzschriften, die meisten aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, manche aber auch zweihundert Jahre alt. Der zuletzt erschienene Schriftenkatalog von 1988 umfaßt knapp siebenhundert Seiten, und die darin enthaltene Bessemer gibt es heute in keiner anderen Druckerei mehr. Ich fing an zu überlegen, wie man den Betrieb retten könnte.«

Inzwischen war auch die Öffentlichkeit auf die Bedeutung der Offizin für die europäische Druckgeschichte aufmerk­sam geworden. Etwa fünfzig deutschsprachige Verlage wandten sich mit einer Petition an die Treuhandanstalt in Berlin und setzten sich dafür ein, den Betriebs­teil separat zu verkaufen. Die damit verbundene Hoffnung, daß wenigstens die großen Verlage darunter zumindest einmal im Jahr ein Buch auf herkömmliche Art in Auftrag geben und damit ihren Beitrag zum Erhalt leisten würden, hat sich, von Ausnahmen abgesehen, leider nicht erfüllt. Meist blieb es bei unverbindlichen Ermunterungen, das Begonnene fortzusetzen.

Von Anbeginn war das Vorhaben alles andere als einfach – ein neuer Kundenstamm mußte aufgebaut, die Produktions­flächen, auch der Mitarbeiterkreis mußten reduziert und die Arbeitsabläufe neu organisiert werden. Aus der Konstella­tion von nicht mehr genutzten Flächen und der im Hause praktizierten handwerklichen Tätigkeit ergab sich aber auch die Chance, den schon in München gehegten Gedanken eines Druckmuseums neu aufzugreifen und umzusetzen. Was es aber in der heutigen Zeit rückläufiger Etats tatsäch­lich bedeutet, ein solches Projekt zu beginnen, sollte Eckehart SchumacherGebler erst erfahren, als eine Umkehr nicht mehr möglich war.

Seitdem sind fast zwei Jahrzehnte vergangen. Das von ESG gegrün­dete und aufgebaute Museum für Druckkunst in Leipzig ist heute eine Stiftung bürgerlichen Rechts. Dieser hat er sein wertvolles Ensemble an Druckpressen, Schriften und Gerätschaften aller Art, kurz die Sammlung SchumacherGebler, in ihrer ganzen Reichhaltig­keit übertragen. Sie zählt zu den bedeutendsten ihrer Art. Was sie auszeichnet ist die exemplarische Zusammensetzung der Exponate, die techni­schen Fortschritt und menschlichen Erfindungsgeist, die das stete Ringen um eine verbesserte Nutzung der eingesetzten Kräfte am Beispiel vorhandener Modellvarianten veran­schaulichen; keine beliebige Anhäufung von Einzelstücken also. Das Besondere daran ist weiter, daß es sich im Grunde um eine voll funktionierende graphische Werk­statt handelt. Fast alle Maschinen, in sämtlichen nur denkbaren Fa­cetten, sind betriebsbereit. Das beginnt mit der Hand- und Maschinen­setzerei, setzt sich fort über den Drucksaal, in dem die wesentlichen Druck­techniken und Druckprinzipien gezeigt werden, bis hin zur Buchbinderei. Sogar eine Schrift­gießerei mit Stahlstempeln und vierzig Tonnen Matrizen, die das europäische Schriftschaffen aus fünf Jahrhunderten widerspiegeln, gehört dazu.

Unter denselben Aspekten muß man der Offizin Haag-Drugulin – sie konnte 2009 auf ein hundertachtzigjähriges Bestehen zurückblicken – eher eine noch größere Bedeu­tung beimessen. Denn im Gegensatz zu Museen ist die tätige Werkstatt der Ort, an dem neben den Geräten und Maschinen heute auch das Fachwissen und die beruflichen Kennt­nisse bewahrt und am Leben gehalten, mehr noch, in der täglichen Übung immer wieder aufs Neue errungen werden. Der Erhalt dieses handwerklichen Könnens ist gerade jetzt so eminent wichtig, weil in gleicher Weise, wie keine Setz- und Druckmaschinen mehr für die traditionelle »Schwarze Kunst« gebaut werden, auch die Ausbildung diesbezüglicher Berufe an den entsprechenden Bildungs­stätten nicht mehr stattfindet. Daher hat beides, Erhalt und Weitergabe von Erfah­rung und Wissen, für Eckehart SchumacherGebler oberste Priorität. Denn ist die Kette in der Übermittlung von den in ihrem Fach erprobten Meistern auf eine jüngere Generation erst einmal unter­brochen, läßt sich das Verlorene kaum zurückgewinnen, gerät das Ganze im höchsten Maße in Gefahr.

Damit sind wir in unserer Geschichte, die mit einem kleinen ›a‹ be­gann, an einen Punkt angelangt, von dem sich, um im Sprachge­brauch zu bleiben, ein Blick auf das vollständige Alphabet werfen läßt. Die Offizin Haag-Drugulin hat sich in den vergangenen Jahren ganz auf den Bleisatz und Buch­druck spezialisiert. Die vielen Monotype-Matrizen in Mün­chen wurden mit denen der OHD zu einem, wie Manfred Sack es nannte, »einzigartigen Schatzhaus der Schriften« vereint. Gute Voraussetzungen für die Offizin, selbst die ausgefallen­sten Wünsche eines kleinen, aber anspruchs­vollen Kundenkreises erfüllen zu können. Es sind Künstler und bibliophile Liebhaber, vor allem aber in- und ausländi­sche Verlage, für die Bücher und gra­phische Blätter in hoher Qualität gefertigt werden. Zu den Arbeiten zählt nicht zuletzt die Reihe »Bibliothek SG«, die klassischen und modernen Autoren gewidmet ist. Das Besondere an dieser typogra­phisch sehr sorgfältig gestalteten und deswegen mehrfach prämierten Edition: Jeder Band erscheint in einer anderen der vielen schönen Schriften des Hauses. Und der Leser erfährt jedesmal in einem span­nenden Essay, was es mit der jeweiligen Schrift für eine Bewandtnis hat.


Folio-aSchrift: Folio

Bodoni-aSchrift: Bodoni

Garamond-aSchrift: Garamond

Helvetica-aSchrift: Helvetica

Baskerville-aSchrift: Baskerville

Univers-aSchrift: Univers

Walbaum-aSchrift: Walbaum

Rockwell-aSchrift: Rockwell

Times-aSchrift: Times

Optima-aSchrift: Optima

Caslon-aSchrift: Caslon

Palatino-aSchrift: Palatino

Century-Gothic-aSchrift: Century Gothic